Mehr Lebensqualität für Krebspatienten durch weniger Schmerzen

Vor allem chronische, also ständige Schmerzen sollen stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit getragen werden, denn: Allein in Deutschland leiden mehrere Millionen Menschen an bleibenden Schmerzen – und die Hälfte davon wird medizinisch nicht optimal betreut und leidet unnötig. Auch bei Krebspatienten können die Behandlung oder Erkrankung verschiedene Arten von Schmerz verursachen. Umso wichtiger ist daher, Patienten wie Ärzten die vielfältigen Möglichkeiten von Schmerztherapien aufzuzeigen.

Jeder Mensch hat das Recht auf eine angemessene Schmerztherapie.

Jeder Mensch hat das Recht auf eine angemessene Schmerztherapie.
Eines der häufigsten Begleitsymptome von Krebs ist der Schmerz. Dieser kann entweder durch den Tumor oder die Krebsbehandlung ausgelöst werden. Damit Sie als Patient Ihren Alltag so normal und mit einer so hohen Lebensqualität wie möglich erleben können, sollten Sie so früh wie möglich eine langfristige und effiziente Schmerztherapie erhalten, die nur geringe Nebenwirkungen mit sich bringt.
Die klassischen Therapieansätze mit Schmerzmitteln wie zum Beispiel Opioiden wirken oft nicht ausreichend, etwa bei Nervenschmerzen. Auch können sie die Lebensqualität des Patienten durch Nebenwirkungen einschränken. In diesen Fällen sollten Sie mit Ihrem behandelnden Arzt über alternative Schmerzbehandlungen sprechen. Eine Möglichkeit dafür ist die sogenannte intrathekale (rückenmarksnahe) Schmerztherapie.

Arten von Schmerz: nozizeptiv, neuropathisch – oder beides?

Damit Sie die bestmögliche Schmerztherapie erhalten können, ist es wichtig, dass Sie Ihrem Arzt sofort von Ihren Beschwerden erzählen, sobald Sie diese bemerken. Es gibt verschiedene Arten von Schmerz.

Nozizeptive Schmerzen

Hierunter sind Schmerzen zu verstehen, die wir im Alltag häufig erleben, etwa wenn wir uns stoßen oder verletzen. Nozizeptoren sind Schmerzrezeptoren des Körpers. Sie reagieren auf äußere Einflüsse und Reize und leiten diese an das zentrale Nervensystem weiter. Je nachdem, wie stark der Reiz ist, empfinden wir körperliche Schmerzen. Reizauslöser sind zum Beispiel Druck oder Temperaturen. Wir erleiden nozizeptive Schmerzen, wenn wir uns beispielsweise stoßen, verbrennen oder schneiden. Nozizeptive Schmerzen entstehen also meistens durch eine Verletzung von Körpergewebe. Das kann die Haut, innere Organe, Bindegewebe, Muskeln, Knochen und Gelenke umfassen. Betroffene empfinden nozizeptive Schmerzen als dumpf, brennend, pochend oder stechend.
Tumorpatienten leiden sehr häufig unter nozizeptiven Schmerzen, etwa wenn der Tumor wächst und so Reizungen oder Entzündungen auslöst. In diesen Fällen helfen Opioide und auch entzündungshemmende Medikamente meistens gut.

Körperansicht mit nozizeptiven Schmerzen
Nozizeptiver Schmerz

Neuropathische Schmerzen

Von neuropathischen Schmerzen spricht man, wenn manche Nerven im Körper so stark geschädigt sind, dass sie Reize nicht mehr richtig übertragen können. In Folge der Nervenschädigung können ebenfalls starke Schmerzen auftreten. Mögliche Ursachen für eine Nervenschädigung können unter anderem ein Tumor oder Metastasen sein, die in das Nervengewebe einwachsen oder dieses beschädigen. Auch durch die chirurgische Entfernung von Gewebe (z.B. Brustgewebe) können neuropathische Schmerzen entstehen, da oft nicht nur krankhaftes Gewebe entfernt oder beschädigt wird, sondern auch die anliegenden gesunden Nervenzellen in Mitleidenschaft gezogen werden. Gleiches gilt bei einer Chemotherapie, die auch gesunde Zellen angreifen kann. Betroffene beschreiben durch eine Schädigung bedingte Nervenschmerzen meist als stechend, brennend oder kribbelnd oder als Gefühl eines elektrischen Schlages.
Anhaltende Nervenschmerzen können unter bestimmten Bedingungen mit Opioiden behandelt werden [1], allerdings oft mit Einschränkungen: Zum einen können Opioide Nebenwirkungen mit sich bringen, welche die Lebensqualität beeinträchtigen. Zum anderen kann es bei Opioiden zu Gewöhnungseffekten kommen. Das bedeutet, dass bei langfristigem Einsatz eine immer höhere Dosis notwendig werden kann, um den Schmerz zu beherrschen. Grund: Der Körper hat sich an das Medikament gewöhnt. Auch bei nicht tumorbedingten Schmerzen ist ihr langfristiger Einsatz umstritten [2].
Chronische, von Tumoren verursachte neuropathische Schmerzenins sind oft unterdiagnostiziert und unterbehandelt. Für eine optimale Schmerzbehandlung sind, neben Standardtherapien, oft weitere Behandlungsstrategien erforderlich [3]. Das gilt vor allem, wenn Patienten immer höhere Dosierungen an Opioiden benötigen oder eine Opioid-basierte Therapie die tumor- oder Tumortherapie bedingten Schmerzen nicht mehr wirksam in den Griff bekommt. Dann müssen alternative Möglichkeiten zur Behandlung und Linderung der Schmerzen in Betracht gezogen werden [4, 5], wie zum Beispiel durch gezielte Eingriffe an bestimmten Nervenzellen, wodurch die Schmerzempfindung unterbrochen wird (sogenannte interventionelle Methoden).

Nervenzellen
Nervenzellen

Gemischter Schmerz oder „Mixed Pain“

Der sogenannte Mixed Pain ist bei Tumorerkrankungen sehr häufig. Die Kombination aus gleichzeitig auftretenden nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen kommt bei etwa 65 Prozent der Krebspatienten vor [6]. Ein gemischter Schmerz entsteht zum Beispiel, wenn sich ein Tumor in umliegendes Gewebe ausdehnt und hier zu Reizungen (nozizeptiv) und eine Chemotherapie beim Patienten gleichzeitig zu einer Neuropathie (Störung von Nerven) führt. In solchen Fällen braucht es eine komplexe Therapie, die gleichermaßen für beide Schmerzarten wirksam ist und Linderung bringt.

Infografik: Gemischte Schmerzen aus nozizeptiven und neuropathischen Schmerzen
Gemischter Schmerz

Die rückenmarksnahe Schmerztherapie oder „intrathekale Analgesie“ (ITA)

Die intrathekale Analgesie ist eine rückenmarksnahe Schmerztherapie, fachsprachlich auch ITA genannt. Bei dieser Behandlungsform erhalten Patienten eine dauerhafte Therapie mit Schmerzmedikamenten über einen Katheter, der direkt in den sogenannten Intrathekalraum des Rückenmarks eingebracht wird. Der Intrathekalraum ist ein mit Flüssigkeit gefülltes Hohlraumsystem, das Gehirn und Rückenmark umgibt. Der dort eingebrachte Katheter wird mit einem Port unter der Haut und einer externen Pumpe verbunden. Alternativ können Kathetersystem und Pumpe auch vollständig in den Körper implantiert werden (interne Pumpe).
Das Pumpenreservoir einer internen Pumpe wird in regelmäßigen Abständen schmerzarm durch die Haut mit Medikamenten befüllt. Bei einer externen Pumpe erfolgt die Befüllung des Reservoirs außerhalb des Körpers. In beiden Fällen werden Schmerzmedikamente dann sehr gezielt rückenmarksnah in den Intrathekalraum abgegeben. Hier unterbricht das Schmerzmedikament die Weiterleitung des Schmerzsignals, indem für die Schmerzweiterleitung verantwortliche Nerventeile (Rezeptoren) durch das Medikament blockiert werden. Auftretende Schmerzen werden so verringert und gehemmt. Die notwendige Dosierung kann zudem sehr fein auf die individuellen Bedürfnisse jedes Patienten eingestellt werden.
Beim Einsetzen von Katheter und Pumpe handelt es sich um einen relativ kleinen Eingriff, den erfahrene Spezialisten routinemäßig durchführen. Durch eine ITA wird der Patient im Alltag kaum beeinträchtigt.

Rückenmarksnahe Schmerztherapie über eine implantierte Medikamentenpumpe
Rückenmarksnahe Schmerztherapie über eine implantierte Medikamentenpumpe

Warum ist die intrathekale Analgesie nicht nur der letzte Ausweg aus den Schmerzen?

Ein großer Vorteil der ITA ist, dass die Dosierung der Schmerzmittel wesentlich geringer ausfallen kann als bei anderen Therapieformen wie der Einnahme von Tabletten oder über die Haut durch Pflaster. Das intrathekal verabreichte Medikament wirkt genau dort, wo es seine Wirkung entfalten soll. Es muss nicht erst über Umwege im Körper zum Wirkort gelangen. Durch die geringeren Dosierungen des Wirkstoffs können Nebenwirkungen verringert und gleichzeitig die Schmerzlinderung verbessert werden.
Neben Opioiden ist für die intrathekale Schmerztherapie ein Vertreter aus der Gruppe der Conotoxine zugelassen. Damit gibt es auch eine sehr gute, nicht-opioide Alternative zur Befüllung der Pumpe, welche sowohl bei nozizeptiven als auch neuropathischen und gemischten Schmerzen sehr effektiv sein kann [7].
Die Behandlung krebsbedingter Schmerzen hat sich gewandelt: von der Kurzzeit-Behandlung zur langfristigen Behandlung chronischer Schmerzen, insbesondere aufgrund verbesserter Krebstherapien und einer daraus folgenden besseren Lebenserwartung. Daher können Alternativen zu oralen und systemischen Schmerzmitteln für Patienten mit krebsbedingten Schmerzen von Vorteil sein [8] – wie die rückenmarksnahe Schmerztherapie. Die intrathekale Schmerztherapie wird nach dem aktuellen Stand der Forschung längst nicht mehr als letzte Option in der Schmerztherapie angesehen. Im Rahmen einer umfassenden Schmerztherapie bei onkologischen Patienten stellt sie in jedem Schmerzstadium eine wirkungsvolle Ergänzung oder Alternative zur herkömmlichen Schmerztherapie dar. Ihr Hauptvorteil liegt in der Möglichkeit einer komplexen und angemessenen Schmerzkontrolle, wodurch eine deutlich bessere Lebensqualität erreicht werden kann [5, 9].

Quellen

1. McNicol, E.D., A. Midbari, and E. Eisenberg, Opioids for neuropathic pain. Cochrane Database Syst Rev, 2013. 2013(8): p. Cd006146.
2. Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei nicht tumorbedingten Schmerzen (LONTS), w.a.o.
3. Bennett, M.I., et al., Prevalence and aetiology of neuropathic pain in cancer patients: a systematic review. Pain, 2012. 153(2): p. 359-65.
4. de la Calle Gil, A.B., et al., Intrathecal Ziconotide and Morphine for Pain Relief: A Case Series of Eight Patients with Refractory Cancer Pain, Including Five Cases of Neuropathic Pain. Neurol Ther, 2015. 4(2): p. 159-68.
5. Dupoiron, D., Intrathecal therapy for pain in cancer patients. Curr Opin Support Palliat Care, 2019. 13(2): p. 75-80.
6. https://www.allgemeinarzt-online.de/archiv/a/tumorschmerzen-nsar-opioide-und-mehr-1854014.
7. Deer, T.R., et al., The Polyanalgesic Consensus Conference (PACC): Recommendations on Intrathecal Drug Infusion Systems Best Practices and Guidelines. Neuromodulation, 2017. 20(2): p. 96-132.
8. Bruel, B.M. and A.W. Burton, Intrathecal Therapy for Cancer-Related Pain. Pain Med, 2016. 17(12): p. 2404-2421.
9. Carvajal, G., et al., Intrathecal Drug Delivery Systems for Refractory Pancreatic Cancer Pain: Observational Follow-up Study Over an 11-Year Period in a Comprehensive Cancer Center. Anesth Analg, 2018. 126(6): p. 2038-2046.